Ein Text für den Wettbewerb „Jüdisches Leben damals und heute“

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Unsere Schülerin Julia E aus der S II nimmt mit einem eigenen Text am Wettbewerb um den  Rolf-Joseph-Preis teil, einen deutschlandweiten Wettbewerb für Schülerinnen und Schüler, der in Kooperation mit der Stiftung Erinnerung Verantwortung Zukunft, dem Jüdischen Museum Berlin und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veranstaltet wird.

In Zusammenarbeit mit der „Jugend schreibt“- Seite der Frankfurter Allgemeinen Zeitung prämiert die Joseph-Gruppe e.V. mit dem Rolf-Joseph-Preis die besten Einsendungen zum Thema „Jüdisches Leben damals und heute“

Und hier könnt ihr Julias Wettbewerbsbeitrag lesen:

Judentum – Was hab ich schon damit zu tun?

Wir leben doch in einem christlichen Land, warum sollte ich mich dann für andere Religionen interessieren?
Ja, ich lasse Antisemitismus zu und nein, ich denke nicht darüber nach.
Ja, ich habe Vorurteile und stecke Menschen in Schubladen, schließe sie ab und werfe den Schlüssel weg, aber das macht doch jeder, oder nicht?

Nein, ich werde nicht versuchen mich zu ändern! Warum sollte ich auch? Ich tue doch niemanden weh mit meinen Gedanken. Und wenn mir mal was rausrutscht dann ist das halt so, mein Gott, dann hasst mich halt dafür. Es liegt doch auf der Hand – hier steht nunmal das Christum an der Spitze.

Ich gehe durch die Straßen. Es ist schon spät. Ich höre einen Podcast, es wird etwas von Anschlägen mit antisemitischen Hintergründen gefaselt. Ja ja, schon gut, denk ich mir und schalte es ab. Da gegenüber auf der anderen Straßenseite, ein Junge. Er trägt eine Kippa.
Doch dann: Zwei große, schwarz gekleidete Gestalten nähern sich ihm von hinten. Hmm, komisch! Doch ich denk mir nichts weiter dabei.

Ich höre Beleidigungen drehe mich um, aber bleibe still. Unsere Blicke treffen sich, seine Augen sprechen Bände. Er hat Angst, schreckliche Angst. Dann schreit er auf, ich sehe wie er am Boden liegt, getreten und geschlagen wird. Er blutet, fleht um Hilfe und schluchzt.
Ich mache die Augen zu und renne weg. Weg weg weg…

Mir läuft es kalt den Rücken runter. Scheiße, was ist da gerade passiert?
Ich darf ihm nicht helfen, sonst werde ich noch selbst zum Opfer. Alle predigen doch immer: „Lass nicht zu, dass du das Opfer bist.

Tage später, ich verliere mich immer wieder in mir selbst.
Sehe die Angst erfüllten Augen vor mir, ertrinke in meinen eigenen Gedanken. Warum ist das so? Ich habe doch alles richtig gemacht. Zumindest sagen das alle zu mir…
Ich laufe zur Bahn, ein Tag wie jeder anderer. Die Bahn ist brechend voll, es regnet.

Aber hey, ich bekomme den letzten Sitzplatz – immer hin etwas.
„Könnte ich vielleicht Ihren Sitzplatz haben? Ich schaffe es nicht mehr so lange zu stehen.“, höre ich eine zerbrechliche Stimme sagen. Ich schaue hoch, nehme meine Kapuze ab und sehe einen älteren Herrn im Gang stehen. Bevor ich überhaupt irgendwas realisieren konnte, höre ich bereits die Antwort: „Nein keinesfalls, solche Menschen wie Sie haben es nicht verdient zu sitzen.“ 


Die Menschen in der Bahn sind zwar sichtlich empört, aber es reagiert niemand. Also warum sollte dann genau ICH die Dumme sein, die dagegen aufschreit? So funktioniert das doch in unserer Gesellschaft, oder nicht?

„Holocaust, Konzentrationslager alles davon war verdient. Ich werde für Menschen wie Sie nie aufstehen.“, ist die Antwort auf das Schweigen der Dame, die eben noch ganz entspannt Candy Crush gespielt hat. Aber mit den Begriffen kann ich absolut nichts anfangen. Was zur Hölle meint sie?

Kaum bin ich zuhause angekommen, google ich die Wörter Holocaust, Konzentrationslager, Antisemitismus und alles fliegt mir um die Ohren. Ich werfe mein Handy weg, schließe meine Augen und warte einfach nur bis diese Bilder aus meinem Kopf verschwinden.

Ach ja übrigens, der ältere Herr ist Jude. Kaum zu glauben, oder? Doch all dieser Scheiß verschwindet nicht aus meinem Kopf. Es bleibt…

2.351 Antisemitische Taten im Jahr 2020 – Dunkelzahl noch viel höher. 16 Prozent mehr als 2019 – Neuer Höchststand. Wow, wo bleibt die Party? Wo ist der Pokal?
Ihr habt’s geschafft. Herzlichen Glückwunsch. Die Welt ist noch verhasster als vorher. Das war doch euer Ziel, oder nicht?

Charlottenburg-Wilmersdorf, 6. Januar

Ein Mann wollte aus der U-Bahn steigen, als eine einsteigende Person ihn ins Gesicht schlug und antisemitisch beleidigte.

Berlin-Mitte, 7. Januar

In der Nähe des Deportationsdenkmals an der Putlitzbrücke beschimpften fünf Jugendliche einen Mann mehrfach als Juden und griffen ihm wiederholt zwischen die Beine.

Tempelhof-Schöneberg, 24. Januar
In die Fensterscheibe eines Restaurants in Schöneberg, welches koschere und israelische Speisen anbietet, wurde ein Hakenkreuz geritzt.

Pankow, 15 Juni

Drei Grabplatten wurden aus einem Grabmal im jüdischen Friedhof herausgebrochen. Die schweren

Grabplatten fielen dabei nach vorn auf die Ruhestätte der Verstorbenen. Zwei der drei Grabplatten zerbrachen beim Aufprall.

Reinickendorf, 13 Mai

Ein Mann traf im Hausflur auf einen Nachbarn, der ihn unvermittelt mit den Worten: „Geh arbeiten, du Judenschwein!“ beleidigte. Nach einer kurzen verbalen Auseinandersetzung drohte der Nachbar ihm außerdem mit den Worten: „Ich bringe dich um!“ und trat dem Betroffenen in die Kniekehle, als dieser zurück in seine Wohnung gehen wollte.

Diese Aufzählung ist nur ein minimaler Bruchteil von Taten, die täglich passieren.

Und ja diese Taten sind alle antisemitisch!

Woher ich das weiß? Gute Frage. Fehlt uns in der Gesellschaft nicht eine gewisse Sensibilität? Klar, haben wir alle in der Schule den 2. Weltkrieg besprochen. Was hab ich aus der Schulzeit darüber mitgenommen? Juden wurden in die KZs gesteckt, dort unter der Menschenwürde behandelt und am Ende ermordet.

Doch es ist so verdammt viel mehr!! Unvergleichbar – ein organisiertes Verbrechen dieser Art! Das muss gesagt werden!!! Die aktuellen Beispiele verdeutlichen die Aktualität der Thematik und das muss auch in der Schule angesprochen werden!

Es ist 5 Uhr. In einer Stunde wird wieder mein Wecker klingeln. Dann beginnt einer neuer Tag und ich muss ich zur der Bahn. Dort wo gestern noch der ältere Herr im Gang stand.

Ja, ich habe am gestrigen Tag anstatt zu helfen nur dabei zugesehen…
Nein, ich würde nicht noch einmal so handeln!
Ja, stattdessen würde ich laut werden, meine Stimme erheben und deutlich sagen, dass man so nicht mit Menschen umgeht.

Denn: Du glaubst es kaum, aber Antisemitismus passiert überall, auch vor deiner Tür. Also werde endlich laut und mach deutlich, dass solch ein Verhalten nicht geduldet werden darf. Wir leben doch in einer multikulturellen Gesellschaft…

(Quelle: Mediendienst-Integration.de, zuletzt eingesehen am 12.08.2021.)